Wie finde ich Szenarien und Handlungsoptionen für eine unsichere Zukunft?

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Entscheidungsfindung und Strategie ist bereits im ganz normalen Unternehmensalltag anspruchsvoll. Wenn unser Thema komplex ist und sich über einen längeren Zeitraum erstreckt oder wir uns in einer Krise befinden, dann müssen wir schnell und umfassend den besten Weg bestimmen, darauf zu reagieren.

Wie können wir mit dem aktuellen Wissensstand und den aktuellen Fähigkeiten optimal agieren, egal wie die Zukunft aussieht?

Beispiele sind Klimawandel, Energiewende, Digitalisierung, politisch-regulatorische Entwicklungen, Krisen, Marktveränderungen.

Der entscheidende erste Schritt ist das Verständnis von möglichen Zukunftsentwicklungen und ihre konkreten Auswirkungen auf unser Unternehmen. Das ist die Grundlage für Überlegungen, Entscheidungen und Strategiedefinition. Erst dann können wir effektiv Maßnahmen ableiten, handeln und uns vorbereiten.

Es gibt dafür verschiedene Ansätze. Alle haben eines gemeinsam: erst muß der gedankliche Raum erweitert werden, um ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge zu gewinnen. Dann muss dieser Raum wieder verengt werden, damit Entscheidungen getroffen werden können.

Von der Fragestellung zur Strategie – Erweiterung und Eingrenzung des gedanklichen Raumes

„Falsches Brainstorming“

Oft wird eine Methode angewandt, die ich „Braindumping“ oder „falsches Brainstorming“ nennen will. Die funktioniert so.

Es gibt ein wichtiges Thema. Eine Krise, eine strategische Herausforderung. Eine Besprechung wird angesetzt. Das Thema wird präsentiert. Der Reihe nach erklären die Teilnehmer, was sie als relevant ansehen. Ein paar Schwerpunkte ergeben sich. Die Zeit drängt. Ein Plan wird gemacht auf der Basis des eben besprochenen. Und ausgeführt.

So weit so gut. Schnelles Handeln! Nur das dieses Vorgehen bei komplexen Problemstellungen nicht ausreicht. Ich nenne es deshalb „Braindumping“ oder „falsches Brainstorming“, weil es an der Oberfläche bleibt. Jeder in der Runde trägt bei, was er oder sie gerade im Kopf und im Blick hat. Die einen gut vorbereitet, die anderen weniger. Das Durchdenken und die Vollständigkeit bleibt dem Zufall überlassen. Die Gefahr ist groß, das die Organisation „das falsche richtig tun“. Also zwar Maßnahmen umsetzt, diese aber gar nicht den Effekt haben, der gebraucht wird.

Das bedeutet nicht, das solche Prozesse komplett falsch sind. Gemäß Pareto können sie durchaus „80% der Probleme in 20% der Zeit lösen“. Das funktioniert bei komplizierten Problemen und entspricht im Kern dem Gedanken der Agilität! Aber es funktioniert bei komplexen Problemen nur begrenzt und nicht zuverlässig.

Kompliziert versus komplex

Es gibt Probleme, deren Lösung im Prinzip bekannt ist. Einen Stuhl bauen, die Statik eines Hochhauses berechnen, ein Computerprogramm für die Buchhaltung schreiben. Diese Problem sind kompliziert. Keines ist trivial und die Lösung erfordert Sachkenntnis, Überlegen und viele kleine Problemlösungen.

Und es gibt Probleme, deren Lösung (noch) nicht bekannt ist. Eine neue Technologie anwenden, die Auswirkungen einer Krise beherrschen, eine langfristige Strategie finden.

Bei komplizierten Problemen verstehen wir Ursache und Wirkung (auch wenn es einiges an Nachdenken erfordern mag). Bei komplexen Problemen erleben wir Überraschungen, weil wir Ursache und Wirkung nicht verstehen. Und nicht verstehen können. Wir wissen nicht, welche Auswirkungen die Digitalisierung, die Energiewende und künstliche Intelligenz haben werden.

Bei komplizierten Problemen helfen uns Regeln, Prozesse und Wissen. Bei komplexen Problemen helfen uns Prinzipien, Werkzeuge und Können.

Die Zukunft ist unsicher, weil sie komplex ist und nicht einfach kompliziert. Deshalb brauchen wir Methoden für komplexe Probleme, nicht für komplizierte.

Methoden die für komplexe Probleme funktionieren

Es gibt eine Vielzahl von Methoden. Die hier vorgestellten Methoden zeichnen sich durch die Synthese von Kreativität und Analyse aus und können aufeinander aufbauen. Sie reichen von einfacher (Brainstorming) über mittlere (Walt Disney) zu hoher Komplexität (Szenario-Methode).

Eine gute Einführung in die Kreativität ist der Klassiker von Edward de Bono: „Laterales Denken“. de Bono vergleicht darin das nicht-laterale, analytische Denken mit dem Graben eines Loches: „Ein Loch tiefer zu graben ändert nicht an der Position des Loches“. Wir können wunderbare Löcher sehr schnell sehr tief graben und „die Dinge richtig tun“. Aber tun wir die richtigen Dinge? Sind die Löcher am richtigen Ort?

Brainstorming (plus „Clustering“)

Echtes Brainstorming ist eine gut definierte Kreativitätstechnik. Sie hat folgende Kernelemente:

  • Es wird nicht bewertet. Egal wie absurd, abstrus oder falsch eine Idee erscheinen mag, sie wird nicht bewertet.
  • Es wird eine große Anzahl von Ideen angestrebt. Erfahrungsgemäß kommen am Anfang einer Sitzung viel Ideen, dann ebbt der Strom ab. Wer hier stoppt, dem entgehen die wirklichen Ideen! Wenn das offensichtliche gesagt ist, dann entsteht der Freiraum für neue Ideen.

Brainstorming an sich führt erst zu einer großen Anzahl von Ideen und neuen Gedanken. Ohne Aufbereitung sind diese praktisch wertlos. Deshalb sollte sich unbedingt eine Phase anschließen, in der die Ideen strukturiert werden. Eine gängige Technik dafür ist das sogenannte Clustering (korrekt „Affinitätsdiagramm„). Die einzelnen Ideen (festgehalten auf Karten) werden durchgesehen und thematisch geordnet.

Diese Phase ist extrem wichtig und dauert erfahrungsgemäß mindestens so lange wie das eigentlich Brainstorming! Die Gedanken werden strukturiert und aus den Ideen werden Erkenntnisse.

Das Ergebnis des „Clusterings“ (nicht das rohe Ergebnis des Brainstormings) ist dann die Grundlage für weitere Schritte, wie Entscheidungsfindung oder Strategiedefinition.

Walt Disney-Methode

Diese Methode geht auf die Haltung des Produzenten Walt Disney zurück. Die Grundidee ist, verschiedene gedankliche Positionen zu einem Thema zu beziehen. Die drei Positionen sind:

  • „Träumer“ – subjektiv, enthusiastisch. Wo ist das Problem? WIr machen das einfach!
  • „Realist“ – analytisch, rational. Was können wir tun?
  • „Kritiker“ – Bedenkenträger. Was wird alles schief gehen?

Zusätzlich gibt es noch eine neutrale Moderationsrolle. In einem Team können alle gleichzeitig eine Position einnehmen (z.B. alle sind Kritiker) oder verschiedene. In der jeweiligen Position wird dann die Problemstellung diskutiert, die Positionen werden immer wieder gewechselt.

Diese Methode ist eine einfachere Variante der komplexeren „Six Thinking Hats„. Eine noch einfachere Variante ist der „Advocatus Diaboli“ oder auch „Herausforderer / Challenger“. Es ist die Aufforderung an einen Gesprächspartner, nach Fehlern und Lücken in einer Argumentation zu suchen.

Szenario-Methode

Oft wird jede Überlegung „was könnte sein wenn“ als Szenario bezeichnet. Aber dieser Ansatz hat das gleiche Problem wie das „falsche Brainstorming“. Es bleibt an der Oberfläche und richtet im besten Fall keinen Schaden an. Im schlimmsten Fall suggeriert es uns eine falsche Sicherheit und führt zu schlechten Entscheidungen.

Die Szenario-Methode hat das Ziel, systematisch eine mögliche komplexe Zukunft anfassbar zu machen. In einem Wechsel von kreativen und analytischen Methoden werden heutiges Wissen zu ein fiktiven Geschichten über „mögliche Zukunftsentwicklungen“ entwickelt. Das ist die Grundlage für die strategische Planung vieler Unternehmen, z.B. Shell.

Szenarios sind keine Vorhersagen. Sie beruhen auf Fakten und heutigem Wissen und sind daher keine Erfindungen. Es werden die Faktoren bestimmt, die sowohl eine hohe Unsicherheit haben als auch einen hohen Einfluss. Für eine vorher festgelegte Fragestellung werden dann ein oder mehrere Szenarien entwickelt. Diese dienen dann als Grundlage für die weitere Strategiedefinition und haben auch eine „Frühwarnfunktion“. Hier wird diese Methode ausführlicher beschrieben.

Szenarien und Handlungsoptionen für eine unsichere Zukunft!

Der erste Schritt ist, Komplexität zu akzeptieren! Die Zukunft ist nicht kompliziert, sie ist komplex. Daher erfordert sie eine Kombination von kreativen und analytischen Methoden.

Schon in der Vergangenheit waren einmal geplante Strategien bei weitem nicht die umgesetzten Strategien. Aber die Zukunft wird noch komplexer, Stichwort VUCA.

Der zweite Schritt ist, uns ein Bild von der Komplexit unserer Zukunft zu machen. Was bestimmt unsere Organisation, unseren Markt, unsere Kunden und unsere Wettbewerber? Das können echte Szenarien sein im Sinne der Szenario-Methode oder andere fundierte Überlegungen. Aber sie müssen auf Fakten beruhen, durchdacht sein und so dokumentiert sein, das unsere Organisation damit arbeiten kann.

Der dritte Schritt ist die Umsetzung in Form der Strategiedefinition. Auf der Basis unsere möglichen Zukunfts-Entwicklungen ergeben sich drei Arten von Handlungen:

  • Was müssen wir auf jeden Fall tun? Egal was in Zukunft passiert?
  • Was sollten wir tun, um auf bestimmte Entwicklungen vorbereitet zu sein?
  • Was ist unser Plan, wenn sich bestimmte Entwicklungen abzeichnen?

Mit dieser Denkstruktur sind wir deutlich besser vorbereitet für eine komplexe Zukunft als mit kurzen Meetings und schnellen Aktionsplänen.

Zuletzt – Kreativität wird oft belächelt. Aber sie ist es, die komplexe Probleme löst. Zusammen mit unseren analytischen und rationalen Fähigkeiten.